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3.2 Derridas différance als Metapher der Dynamik der Negativität


Hinsichtlich der Negativität, und das zielt in diesem Zusammenhang auf jenen Bereich, der das Generieren von Sinn ohne Repräsentation ermöglicht, findet sich nun eben diese Struktur der Gleichursprünglichkeit wieder, denn Negativität wird zum basalen Ermöglichungsgrund, der gewährleistet, daß Anwesenheit sich nicht in der positiven Gestalt der Präsenz, des Seins ereignet, womit die ursprüngliche Rede von Anwesenheit und Abwesenheit eigentlich hinfällig wird. Was hier angesprochen wird, zielt auf jenen zwitterhaften, von Derrida geprägten Begriff der différance, in der die Differenz sowohl als präetablierte Bedingung der Bedeutung, als auch als eigentlicher Akt der Unterscheidung angelegt ist. D.h. die différance ist demnach eine Struktur oder eine Bewegung, die sich nicht mehr von dem Gegensatzpaar Anwesenheit/Abwesenheit her denken läßt. Die différance ist das systematische Spiel der Differenzen, der Spur von Differenzen, der Verräumlichung, mittels derer sich die Elemente aufeinander beziehen."1 Mit der différance als Spiel der Differenzen ist somit eine zweifach zirkuläre/dialektische Struktur angelegt, insofern sie einmal als Bedingung des Textes wie als dessen aktual generiertes Resultat erscheint, und zum anderen als Bedingung ihrer selbst angesehen werden muß, insofern Differenz und Differenzieren wechselseitig aufeinander bezogen sind. Letzteres deswegen, da das Markieren des Unterschieds (Differenzieren) notwendig einen bereits erkannten Unterschied (Differenz) voraussetzt, und umgekehrt der Unterschied sich erst aufgrund einer bereits vollzogenen Unterscheidung ergibt.2

Dieser Aspekt der Dialektik der Unterscheidung, obwohl im Bereich der Negativität, der Heteronomie verankert, kann jedoch nur im Rahmen der Sprache zum Ausdruck kommen, die als Objektsprache der Positivität verhaftet ist. Günther nennt sie daher Positivsprache und Heidegger, im Bewußtsein dieses unweigerlichen Dilemmas der Verfangenheit in der Sprache, an der Schwelle ihre eigenen logischen Implikationen zu überwinden, schreibt: Zum Wesen solcher Übergänge gehört es, daß sie in gewissen Grenzen noch die Sprache dessen sprechen müssen, was sie überwinden helfen."3 Günther spricht Heidegger jedoch den Erfolg dieses Unterfangens ab, das er schon bei Hegel angelegt findet, und konstatiert, daß sie sich beide [Hegel und Heidegger] eine Art philosophisches Kauderwelsch erdachten, das die Grenzen der traditionellen Positivsprachen sprengen sollte."4 Für Günther ist es auf diesem Weg daher nicht möglich, in Bereiche einer Sprache vorzudringen, deren Thema nicht die Wahrheit des Seienden, sondern die Wahrheit der Negativität des Nichts sein müßte."5

An dieser Stelle zeigt sich jedoch, daß Heidegger zwar überaus scharfsichtig die wechselseitige Bezogenheit und Durchdringung von Sein und Nichts in den Blick nimmt, aber gerade nicht um in die Dimension der Negativität vorzudringen. Seine Analysen dienen allein dem Zweck, die Wächterschaft des Seins"6 zu übernehmen, sein Denken ist gehorsam der Stimme des Seins"7, und als das wesentliche Denken [...] verschwendet es sich im Sein für die Wahrheit des Seins."8

Stiftet das Denkmuster der Dialektik und Gleichursprünglichkeit eine deutliche Affinität zwischen Heidegger und Günther, so treten beide in ihren Zielsetzungen auseinander. Diese Unterschiedliche Ausrichtung zeitigt ihre Konsequenzen dann auch in der Verschiedenheit der Methode. Wenn für Günther die Positivsprache versagt bei der Abbildung der Negativität des Nichts, so kann für ihn ihre Überwindung nicht mit ihren eigenen Mitteln allein vollzogen werden, d.h. es bedarf einer anderen Sprache, einer Negativsprache.9 Wir müssen erkennen, daß der Begriff seine Wahrheit nicht alleine in sich selbst hat, sondern auch in der Begriffslosigkeit der Zahl wurzelt."10 Die Wahrheit in der Zahl, aber nun immer die Wahrheit der Negativität des Nichts, findet sich in den Negattionszyklen der Negativsprache insofern, als sich hier eine sukzessive Austreibung von Positivität vollzieht. Diese Negationszyklen - in Anlehnung an die zweite Negation" Hegels konzipiert, welche nicht mehr wieder zur ursprünglichen Position zurückkehrt, sondern auf den qualitativ höheren Bereich der Reflexion der Reflexion verweist - verdünnen somit Schritt für Schritt das Ausgangsobjekt, das Sein. Da jedes ihrer `Worte' [der Negativsprache] einen in sich zurücklaufenden Kreis darstellt, verliert die ursprüngliche Außenintention der Sprache fortschreitend ihr seinsthematisches Gewicht. Die `wirkliche' Welt, die ja positives Sein ist, wird aus der Ideenwelt, die eine Negativsprache entwickeln kann, durch ihre eigene Negativität hinausverwiesen."11 Heidegger, dem es aber gerade um die aletheia dieses Seins geht, äußert sich dementsprechend abfällig über jede Art von Formalismus und Logik, die er sich nicht überwinden kann, ohne Anführungszeichen zu schreiben. Darum wird jetzt auch die kaum ausgesprochene Frage nötig, ob denn dieses Denken [das wesentliche Denken] schon im Gesetz seiner Wahrheit stehe, wenn es nur dem Denken folgt, das die `Logik' in seine Formen und Regeln faßt. [...] Alles Rechnen läßt Zählbare im Gezählten aufgehen, um es für die nächste Zählung zu gebrauchen. [...] Dieses verbraucht fortschreitend die Zahlen und ist selbst ein fortgesetztes Sichverzehren. [...] Was jedoch überall und stets im vorhinein dem Ansinnen der Berechnung sich verschlossen hat [...] kann zuweilen das Wesen des Menschen in ein Denken stimmen, dessen Wahrheit keine `Logik' zu fassen mag."12

Wenn nun aber Heideggers eigene Sprachskepsis ernst genommen wird, und das muß sie zweifelsfrei, wie die Bemühungen von Kristeva und Derrida zeigen, die in Bereiche vorzudringen suchen, die als zerologische (Kristeva) vor dem Identitätsdenken angesiedelt sind, dann bleibt der Anspruch im Recht, der auf eine angemessene Abbildungsform plädiert. Über die reine Verlautbarung hinaus zeitigt die angesprochene Sprachskepsis bei Heidegger selbst aber auch strukturell ihre Konsequenzen. Es läßt sich bei ihm ein deutliches Abweichen vom Dogma der Positivität der Sprache als Quelle der Sinnstiftung erkennen, ja es läßt sich sogar die Unterminierung dieses Dogmas nachzeichnen, etwa wenn in Vom Wesen der Sprache zu lesen ist, inwiefern die Nähe und die Sage als das Wesende der Sprache das Selbe sind. So ist denn die Sprache keine bloße Fähigkeit des Menschen. Ihr Wesen gehört in das Eigenste der Be-wegung des Gegen-einander-über der vier Weltgegenden."13 Diese Be-wegung, d.h. das zueinander kommen lassen im Sinne von einen Weg bahnen<a href