Zur Polykontexturalitätstheorie


1 Zusammenfassende Kritik

Die drei Tendenzen (Fuzzy-Logic, Context-Logic, Extended Calculus of Indications) lassen sich verstehen als erneute Versuche, das Gödelsche Theorem, das als metalogisches Theorem die immanenten Grenzen jeglicher KI-Forschung angibt, zu um-, hinter-, übergehen, ohne dabei direkt an Ergebnisse und Strategien zur Vemeidung von Antinomien in der älteren Logikforschung anzuknüpfen. (s. Kaehr, R., "Neue Tendenzen in der KI-Forschung Metakritische Untersuchungen über den Stellenwert der Logik in der neueren Künstlichen-lntelligenz-Forschung." Stiftung Warentest Berlin u. BMFT 1980,64 S.)

Alle drei Tendenzen sind aufs engste mit der mehrwertigen Logik verbunden. Die context logic ist zwar per se nicht mehrwertig, sie gilt für die 2-wertige wie für die m-wertige, sie erhält jedoch ihre volle Bedeutung erst im Zusammenspiel mit der logic of significance, die nicht nur eine drei-wertige Logik ist, son-dern diese auch eindrücklich zu rehabilitieren versucht. Der ECT ist zwar als indikativer Kalkül der Form noch kein Logikkalkül, arbeitet jedoch mit drei bzw. unendlich vielen Grundformen. Die Logifizierung von ECI liefert einen m-wertigen Logikkalkül à la Kleene mit dem Unterschied, daß die Werte nicht ad hoc eingeführt werden, sondern in ECI generiert werden.

Im nachhinein läßt sich sagen, daß keine wesentlich neuen Ergebnisse erzielt wurden - außer eine Fülle von praktischen Methoden und Applikationen. Es ist daher nich verwunderlich, daß von rein logischer Seite sowohl die fuzzy logic wie auch die mehrwertige Logik in ihren Ansprüchen neue Logiken zu sein, stark kritisiert wurden (Haack, 1974 und Scott, 1976).

2 Kritik der Linearität

Fragt man sich, was der eigentliche Grund für das tendenzielle Scheitern der verschiedenen skizzieren Kalküle ist, so läßt sich folgende Antwort geben.

Allen Kalkülen gemeinsam und von keiner Tendenz hinterfragt sind die allgemeinen semiotischen und im Speziellen arithmetischen Voraussetzungen. Jeder Kalkül ist erst einmal nichts anderes als ein formales System mit einem Zeichenrepertoire und diversen Verknüpfungsregeln und hat zur Grundlage das Induktionsprinzip In: P(0) "n(P(n) ÆP(n+1)) Æ "n P(n). Worten: Wenn eine Eigenschaft P dem Ausgangsobjekt O zukommt und wenn aus der Tatsache, daß sie einen beliebigen Gegenstand n zukommt, folgt, daß sie auch dem Gegenstand n+1 zukommt, so kommt die Eigenschaft P allen Gegen-ständen zu.

Das Induktionsprinzip ist kein logisches, sondern ein spezifisch arithmetisches Prinzip. Es setzt die prinzipielle Linearität und Lückenlosigkeit (Konnexität) der Reihe der natürlichen Zahlen voraus. Mit anderen Worten, es hat zur Voraussetzung die Einzigkeit der Reihe der natürlichen Zahlen (Kategorizität des Peano-Axiomen-Systems). Es gibt nur eine Reihe der natürlichen Zahlen und alles Mathematische und auch alle Kalküle versammeln sich letztlich auf dieser Linie. Die Linearität ist das Grundprinzip aller Formalismen.

Es ist daher kein Zufall, daß Spencer-Brown von seinen Lesern nicht mehr an Voraussetzung verlangt, als eben gerade dieses unhinterfragte Vertrauen in die Reihe der natürlichen Zahlen.

Schon ein Ernstnehmen der Metaphorik Linie" zeigt, daß der Kreis" (die Selbstrückbezüglichkeit) innerhalb des Kalküls der Linearität ein Wunschtraum bleiben muß.

Der Wunschtraum heißt: Eine Linie" wird im Unendlichen" zum Kreis".

Wiederholen wir v. Foersters Explikation der Brownschen und Varelaschen re-entry (Uroboros) - Spekulation: f(X) sei die Form einer algebraischen Formel, dann lassen sich Formeln beliebiger Länge erzeugen: y=f(n) (Xn)."

Für n -> erhalten wir einen rekursiven Ausdruck unendlicher Länge und wegen der Gleichheit von

y = lim f (n-1) (xn-1) = lim f (n) (xn)

      n ->                   n ->

erhalten wir y=f(y). also f=[f] und dieser Ausdruck wird von Varela mit dem Symbol für re-entry, selfreference, autonomy []" bezeichnet". (v. Foerster, 1975.)

Unter der Voraussetzung der Abstraktion der potentiellen und der absoluten Realisierbarkeit (Petrov, 1971) läßt sich diese Konstruktion wohl denken, sie läßt sich jedoch nicht operativ und faktisch realisieren. Die Aufgabe der KI-Forschung ist jedoch die faktische Realisation und nicht die abstrakte Spekulation. Die einzige Tendenz in der mathematischen Grundlagenforschung, die sich wagt die unbeschränkte Gültigkeit der Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit zu hinterfragen, ist der Ultra-Intuitionismus. Von philosophischer Seite ist es die auch mathematisch radikalere Polykontexturalitätstheorie Gotthard Günthers. Beide Theorien sind noch wenig erforscht und haben Anlaß zu absurden Mißverständnissen gegeben. Die unkritische Übernahme des Prinzips der potentiellen Realisierbarkeit aus der Mathematik in die KI-Forschung bringt diese in Widerspruch zu ihrem Prinzip der Machbarkeit. Machbar ist danach nur das, was finit und eindeutig formulierbar ist (McCulloch und Pitts (1965)).

Der Ultra-Intuitionismus ist nun in der Lage zu zeigen, daß nicht einmal die natürlichen Zahlen finit und eindeutig definierbar sind. Die natürlichen Zahlen und ihre Arithmetik sind jedoch der Prototyp einer konstruktiven, d.h. machbaren Theorie. Die Einführung der natürlichen Zahlen unter dem Postulat der Einzigkeit der Reihe der natürlichen Zahlen führt zu einem Zirkel: die einzuführenden Zahlen werden bei der Einführung als schon existent und disponibel vorausgesetzt. Die klass. Logik verbietet jedoch Zirkelschlüsse.

D.h. eine Zahl Zn wird definiert als die n-fache Anwendung der Nachfolgeoperation X auf die Anfangszahl (Null) Y, also

Xn Y = X(X(...(XY)...)) für n>0