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3.3 Foucaults Denken des Außen als Poesie der Negativität


Diesem Tod zu entkommen heißt dann aber, sich nicht in den endlosen Strudel von positivsprachlichen Metaebenen zu begeben, sondern bei dem Versuch, die Mechanizität von Sprache/Schrift zu durchdringen, sich einer kategorial anderen Beschreibungsebene zuzuwenden. Dem Denken der Repäsentation, Identität, Präsenz vollständig zu entsagen, heißt dann, in einen Bereich vorzudringen, der sich jenseits der Alternative von Anwesenheit und Abwesenheit erstreckt, der, indem er diese Wahlmöglichkeit zur Gänze verwirft, das bei Heidegger noch zu erkennende Oszilieren selbst hintergeht. Denn Abwesenheit gründet als bloße Verneinung, Negation, als spiegelsymmetrische Umkehrung der Anwesenheit ebenso wie diese immer noch in der Positivität. Und wenn sich die Paradigmen der Positivität als unzureichend erwiesen haben, ein dialektisches Verständnis vom Prozeß der Sinngebung als Ganze[m]"1 zu liefern, dann erwächst dem Denken die unausweichliche Forderung, sich jener Dimension zu nähern, die es dem Wechselspiel von An- und Abwesenheit und der mit ihr korrespondierenden Logik des Seins erst ermöglicht zu erscheinen und sich auszubilden.2

Es ist ein Denken gefordert, das Foucault das Denken des Außen nennt und von dem er weiß, daß es ungeheuer schwer ist, diesem Denken eine Sprache zu verleihen, die ihm treu ist."3 Denn die sich widersetzende Sprache, an die Foucault denkt, ist immer die Sprache des Seins, die Positivsprache, die es der Reflexion konstitutiv versagt, das mit ihren Mitteln abzubilden, was ihr die Mittel zur Verfügung stellt. Ihr ist es wesenhaft verschlossen, die Prozessualität der Sinngenerierung als Prozessualität darzustellen. Deswegen ist es nötig, der reflexiven Sprache eine andere Wendung zu geben. Sie darf nicht mehr auf eine innere Bestätigung, auf eine zentrale und unverrückbare Sicherheit hin orientiert sein, sondern auf eine äußerste Grenze hin, an der sie sich immer in Frage stellen muß und wo sie, an ihrer eigenen Grenze angelangt, nicht die ihr widersprechende Positivität trifft, sondern die sich verlierende Leere. In diese Leere muß sie gehen, in dieses Geräusch, in die unmittelbare Verneinung dessen, was sie sagt, muß sie sich auflösen."4 Für Foucault läuft dieser Prozeß des affirmativen Eintritts in die Leere auf eine besondere Art des Schweigens hinaus, das sich als das Außen unablässig vorbeirauschender Wörter" erweist.5

Damit erkennt er zwar deutlich die strukturalen Begrenztheiten der, wie er sie nennt, reflexiven Sprache und weist auch den Weg auf, diese Grenzen überhaupt angehen zu können, es scheint jedoch, als füge er sich in einer Art kontemplativer Ergebenheit in ein Schiksal, das dem tatsächlichen Grenzüberschritt nur die unartikulierte Leere des Schweigens beläßt. Wohlgemehrkt, die hier einsetzende Kritik fordert nicht, die Leere dieses Schweigens durch eine neue Positivität zu füllen. Ganz das Gegenteil. Es gilt jedoch zu erkennen, daß das Denken des Außen, welches nach einer ihm treuen Sprache Ausschau hält, diese nicht finden kann in der einfachen Tilgung der reflexiven Sprache. Ein solches Durchstreichen und Sich-verbieten liefert ja gerade nicht die neue und gesuchte Sprache, sondern verbleibt als das Nicht der alten immer noch in deren Kategorien.6

Das Denken, das im Verhältnis zur Innerlichkeit unserer philosophischen Reflexion und im Verhältnis zur Positivität unseres Wissens so etwas wie das `Denken des Außen'" bildet7, kann, ohne die Gefahr seine eigene Existenz aufs Spiel zu setzen, sich nicht damit begnügen, jenseits der Grenze dem Wort zu entsagen. Es würde sich zerstören, denn wie soll es sich denken und es würde die Grenze selbst aufheben, da die sich verlierende Leere zwar nicht die präsente Positivität ist, jedoch als deren bloße Verneinung ihr isomorphes Gegenbild darstellt. Stehen sich aber somit diesseits und jenseits der Grenze struktural identische Bereiche gegebenüber, so wird eine solche Grenze unweigerlich ihrer von Foucault zuerkannten kategorialen Scheidefunktion enthoben. Das Denken des Außen, das sich anschickt in das Jenseits der Positivität vorzudringen, macht also ebenso wie die negative Theologie, die Foucault explizit als eine der Quellen dieses Denkens anerkennt8, an ihrer Grenze halt, um letztlich - nun wortlos geworden - innerhalb ihrer zu verharren. Es gilt jedoch gerade anzuarbeiten gegen diese häufig angestellte Vergleichung/Gleichsetzung, Bestimmung/Diskriminierung, die jene Bemühung mit und aus der negativen Theologie erklären will, welche hinter der Positivität der Sprache in Bereiche zu dringen sucht, die deren Semiosis erst ermöglichen und strukturieren.

Denn eine solche strukturelle Gleichsetzung verdeckt zum einen, daß die negative Theologie trotz aller Bekundungen aufgrund ihrer Gestalt als reine Umkehrform einzig ein der positiven" Theologie isomorphes System darstellt, d.h. eine qualitativ nicht neue Theologie allein mit umgekehrten Vorzeichen errichtet. Zum anderen setzt dieser Vergleich die Dekonstruktions- und Dezentrierungsbemühungen dem ungerechtfertigten Verdacht aus, daß ihre Skepsis und Verweigerung dem positiven Diskurs gegenüber sie über die bei Foucault skizzierte Kontemplation nicht hinausführe, da sie vor dem, was sie auszusprechen begehren letztlich doch nur in ehrfürchtigem Schweigen verharren. Ein genaues Hinsehen auf die negative Theologie sollte vielmehr die Illegitimität eines solchen Vergleichs erkennen, denn da diese dem prädikativen oder judikative Raum der Rede, ihrer strikt propositionalen Form angehört und nicht nur die unzerstörbare Einheit des Wortes priviligiert, sondern auch die Autorität des Namens, ist sogleich eine Vielzahl von Axiomen gegeben, mit deren Überprüfung eine `Dekonstruktion' den Anfang machen muß".9

Als eine weiter Differenz - und weil so offensichtlich und grundsätzlich der Erwähnung beinahe überflüssig - tritt die negative Theologie in dem Maße in deutliche Distanz zur Dekonstruktion, in dem sie jenseits aller positiven Prädikation, jenseits jeglicher Verneinung, jenseits gar noch des Seins, irgendeine Überwesentlichkeit, ein Sein jenseits des Seins zurückzubehalten scheint."10 Genau dies aber soll vermieden werden.

Zwar gilt dieses Bemühen auch für Foucault, doch ist gerade die unausweichliche Notwendigkeit seines Schweigens ein deutliches Indiz dafür, daß er den Blick gerade nicht über die Grenze auf das Gebiet jenseits jeglicher Verneinungen hebt, trifft er doch jenseits seiner Grenze, die damit nun als uneigentliche erkannt ist, wieder auf eine Form der Positivität. Daher erblickt er nicht schon diesseits der Grenze jegliche Verneinung, was nicht anderes bedeutet, als daß Positivität den gesamten Bereich von Affirmation und Negation umfaßt, sondern findet hinter seiner Grenze noch die unmittelbare Verneinung der diesseitigen Positivität.11

Damit ließe sich zum eine sagen, daß Foucault tatsächlich in der von ihm konstatierten Nähe zur negativen Theologie steht, insofern er hinter der Grenze, wenn nicht ein Sein, so doch ein Irgendetwas zurückbehält, das sich je und je als Verneinung zur diesseitigen Positivität verhält. Zum anderen läßt sich aber der Schluß ziehen, daß er die Grenze nicht weit genug hinausgeschoben hat, daß seine Grenze als die Symmetrieachse von Position und Negation immer noch innerhalb des Bereichs der Postivität angesiedelt ist.

1J. Kristeva: Die Revolution der poetischen Sprache. Frankfurt/M 1978, S.37. Hervorhebung im Original.
2In diesem Sinn sind Heideggers Bemühungen, hinter der Logik der Sprache deren tieferes ontologisches und das heißt für ihn existenziales Fundament freizulegen, deutlich gegen den Logozentrismus gerichtet, dessen prätendierter Universalitätsanspruch eben nur ein sprachlich-grammatikalisch vermittelter ist. Die Grammatik sucht ihr Fundament in der `Logik' dieses Logos. Diese aber gründet in der Ontologie des Vorhandenen. Der in die nachkommende Sprachwissenschaft übergegangene und grundsätzlich heute noch maßgebende Grungbestand der`Bedeutungskategorien' ist an der Rede als Aussage orientiert. Nimmt man dagegen dieses Phänomen in der grundsätzlichen Ursprünglichkeit und Weite eines Existenzials, dann ergibt sich die Notwendigkeit einer Umlegung der Sprachwissenschaft auf ontologisch ursprünglichere Fundamente. Die Aufgabe einer Befreiung der Grammatik von der Logik bedarf vorgängig eines positiven Verständnisses der apriorischen Grundstruktur von Rede überhaupt als Existenzial". (Sein und Zeit. S.165. Hervorhebung im Original)
3M. Foucault: Von der Subversion des Wissens. Frankfurt/M 1987, S.51
4a.a.O., S.51
5ebd.
6Daß das Nicht des Sprechens, das Schweigen nicht in das Außen vorzudringen vermag, daß es vielmehr als eine Form des Sprechens selber anzusehen ist, hat Heidegger deutlich erkannt, wenn er darauf hinweist, daß das Schweigen als eine andere wesenhafte Möglichkeit des Redens" anzusehen sei. (Sein und Zeit. S.164) Der Mensch spricht nur, indem er der Sprache entspricht." (Unterwegs zur Sprache. S.33) Dieses Entsprechen aber ist nicht notwendig an das aktuell ausgesprochene Wort gebunden. Auch das Nicht des Sprechens, seine Verneinung und das somit strukturell isomorphe Schweigen gehört dem Sprechen an, ist das Entsprechen der Sprache. So ist denn auch das Schweigen, das man gerne dem Sprechen als dessen Ursprung unterlegt, bereits ein Entsprechen." (Unterwegs zur Sprache. S.262)
7M. Foucault: a.a.O., S.49
8Man darf vermuten, daß es das Denken des Außen jenem mystischen Denken entstammt, das seit den Texten des Pseudo-Dionysius an den Grenzen des Christentums herumgeisterte; vieleicht hat es sich fast ein Jahrtausend lang unter den Formen einer negativen Theologie verborgen gehalten." ebd.
9J. Derrida: Wie nicht Sprechen. Verneinungen. Wien 1989, S.17
10ebd.
11vgl. Anm. 46; (= M. Foucault: Von der Subversion des Wissens. S.51)


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