12 Existenziale Fragetechniken (2003)

Nach dem theoretischen Abriss der Subjektivitätskonstruktionen fragt es sich, wie eine Operationalisierung in Richtung auf lehr- und lernbare Fragetechniken vollzogen werden kann.

Leitbegriffe

Ich, Du, Subjekt, Subjektivität, Selbst, Selbstheit, Existenz, Ek-sistenz

12.1 Fragetypen

Es lassen sich Fragetypen bezüglich ihrer Ausrichtung auf das Erfragte unterscheiden:

1. Sachbezogene

2. Personenbezogene

3. Systembezogene

4. Existenzbezogene

Existenzbezogene Fragen fokussieren auf den Selbstbezug des Subjekts. Wie versteht sich das Subjekt selbst?

Selbst des Selbstbewusstseis

Selbstheit des Daseins

Existenz bzw. Ek-sistenz des Daseins

Eine Typologie gibt Mitterauer indem er die verschiedenen Selbstthematisierungen des Subjekts angibt.

Ich als Ich: Selbstreferenz

Ich als Es : Autoreferenz

Ich als Du: Heteroreferenz



Der volitive Operator der Selbst-Akzeption (S-A)

Dieses Modell Mitterauers thematisiert nicht so sehr die Existenz des Daseins als vielmehr die Modi der Subjektivität eines Subjekts sich selbst und der Welt gegenüber.

Die Existenz des Daseins wird eher thematisch, wenn wir nach der reinen Selbstbeziehung des Subjekts zu sich selbst fragen. Hier kommt die Sprachform "Ich als mich selbst" zum tragen. Diese soll als Leitfaden der Elizitierung des Selbst und der Existenz dienen. Zu fragen ist also noch dem "Ich", dem "mich" und dem "selbst" in der Bezüglichkeit des Subjekts auf sich selbt.

Die "Ich mich selbst"-Formel ist neutral bezüglich Volition und Cognition, oder Selbst-Deskription, -Akzeption, -Interpretation und -Rejektion im Sinne Mitterauers.

12.1.1 Elizitieren des Chiasmus

Existenz als im Modus "Ich mich selbst" lässt sich nicht direkt erfragen, denn der reine Selbstbezug ist weder sach-, personen-, noch systembezogen. Es fehlt somit die nötige Inhaltlichkeit für eine direkte Frage. M.a.W., die Fragerichtung löst sich schrittweise von ihrer Fundiertheit in den Wahrnehmungen, d.h. das Repräsentationssystem wird soweit wie möglich ausgeklammert bzw. neutralisiert.

Eine effiziente und flexible Fragetechnik bilden die DiamondStrategien. Diese werden mit der Absicht die Existenz zu erfragen mit irgendeiner Sach- oder Personen- oder System-bezogenen Problematik in Gang gesetzt.

Die Befragungsausrichtung konzentriert sich allerdings nicht auf die Sach-, Personen- und Systembezogenen Aspekte, sondern utilisiert diese, um im "Milieu" dieser Fragen, die Existenzrelation zu thematisieren. Auf diesem Weg soll der Diamond und Chiasmus von( Ich/mich)-selbst erlebbar gemacht werden.

Diese Ausrichtung der Befragung macht sichtbar, wie der Chiasmus der Existenzbeziehung bisdahin durch den Klienten realisiert wurde. Dies kann als Elizitieren des Chiasmus bezeichnet werden. Welche Relationen des Chiasmus (Ordnungs-, Umtausch- und Koinzidenzrelation) betont und welche verborgen bleiben wird aufgedeckt. Ebenso, welche Komplexität des Chiasmus aufgespannt wird.

12.1.2 Selbst-Störungen als ungesättigte Chiasmen

Störungen der Selbstbezüglichkeit des Selbst lassen sich als unvollständige Chiasmen, als nicht gesättigte oder als nicht vollständig vollzogene Chiasmen verstehen.

Das Diagramm "Beispiele aus dem System der Chiasmen"gibt einen Einblick in die Möglichkeiten der Realisation von Chiasmen.

Harmonie als vollständiger und balanzierter Chiasmus.

Motivationsformen, Wunsch-Strukturen aber auch Zwänge als unvollständige Chiasmen.

Ich-Spaltungen, Ich-Entwürfe, Selbst-entwürfe als Interpretationen des Objekt/Positions-Chiasmus.

Walter Mitterauer und Prinz haben in den 70ern auf der Basis der Subjekttheorie Günthers eine Reihe Arbeiten zur Psychotherapie und Psychoanalyse (Metatheorie) geliefert, die hier nochmals rezipiert und in das Schema der Chiasmen situiert werden können.

Fixierung auf die Umtauschrelation: Dysphorie

Mitterauer schreibt: Ein Patient (22, Scharfetter 1976, S. 26) schildert ergreifend, wie einem zumute ist, wenn man sich in einer Welt von vielen Umtauschverhältnissen" (Unentscheidbarkeit in der Polyvalenz) befindet:

...es ist ein großes Durcheinander in mir ... wo ist meine Nase, was ist mit meinem Mund ... Mein rechter Arm? Ich weiß nicht mehr, was rechts und links ist. Ich weiß nicht genau, wo mein linkes Bein ist. Rechts bin ich ein Mann, links bin ich eine Frau. Rechts bin ich mein Vater, manchmal meine Mutter. Blut habe ich nur das halbe von mir, das andere ist von einem Mann oder einer Frau ... Ich habe nur die halbe eigene Meinung, das andere ist von anderen, von Verwandten, von Stimmen. Das ist ein großes Durcheinander im Kopf und Körper ... auch der Magen und der Hals drehen sich."

Offensichtlich realisiert der Klient einzig, allerdings in aller Konsequenz, eine Umtauschrelation innerhalb seiner chiastischen Verfasstheit. Die anderen Relation verbleiben im Hintergrund und sorgen dafür, dass er überhaupt überleben kann. Denn, etwa Nahrung zu sich nehmen, ist durch eine Ordnungsrelation geregelt und nicht durch eine Umtausch- oder Koinzidenzreleation. Wer sich etwa selber aufzuessen beginnt, fixiert sich mit der Koinzidenzrelation bzgl. Körper und Nahrung.

Ein harmloseres Beispiel für eine Fixierung auf die Umtauschrelation ist das Verhalten der Polarity Responder. Diese müssen immer dann, wenn sie kommunikativ angestossen werden, die Gegenposition des Gegenüber einnehmen, um dann dort in aller Regel zu verharren bis zur nächsten Möglichkeit eines Positionswechsels. Dem Verharren eintspricht dann wohl eine Koinzidenzrelation als Mechanismus der Fixierung auf den einen Pol.

Die Beschreibung des Durcheinanders bezieht sich auf das Verhalten der Person aufgrund personenbezogener Attribute. Hier ist diese Fülle an person- und sachbezogenen Aussagen auf die Verfasstheit der Subjektivität bzw. des Selbst des Klienten zu fragen und nicht auf ihre Inhaltlichkeit hin. Eine existenzialanalytische Befragung muss somit hinter die Fülle der chaotischen Aussagen fragen. Ein Leitfaden dazu bieten die DiamondStrategien bezogen auf den verborgenen Chiasmus des Selbst.

Fixierung auf die Ordnungsrelation: Zwangsneurrose

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