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2.5 Die Dialektik von System und Umgebung, Gleichursprünglichkeit von Subjekt     und Welt


Die systematische Klammer, innerhalb derer der Welt-Begriff entwickelt wird, bildet in Vom Wesen des Grundes der Begriff der Transzendenz. Denn ist das Problem der Welt auf dem hier eingeschlagenen Weg ein Problem der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt und kennzeichnet man alles Verhalten zu Seiendem als intentionales, dann ist die Intentionalität nur möglich auf dem Grunde der Transzendenz, aber weder mit dieser identisch noch gar umgekehrt selbst die Ermöglichung der Transzendenz."1 Was damit gemeint ist und inwieweit Transzendenz über die traditionelle Bestimmung hinaus, d.h. in einem tieferen und volleren Sinn nicht mehr als bloße Demarkationslinie zwischen Subjekt und Objekt, den Boden bereitet für den Begriff von Welt, wird deutlich, wenn Heidegger in einem ersten Schritt Transzendenz als einen Überstieg faßt. Diese auf den ersten Blick triviale Bestimmung liefert nun aber die Möglichkeit, drei Momente herauszukristalisieren, die hier involviert sind. Zum einen läßt sich Transzendenz prozessual hinsichtlich dessen betrachten, was den berstieg vollzieht, d.h. das sich im Übersteigen befinden eignet als Geschehen einem Seienden."2 Zum anderen, Heidegger nennt dies den formalen Aspekt3, läßt sich innerhalb dieser Beziehung dasjenige kennzeichnen, woraufzu der Überstieg vollzogen wird, sowie das je etwas, das überstiegen wird.4 Für Heidegger macht Transzendenz nun nicht eine Verhaltensweise aus, die der Mensch, das Subjekt, oder wie er es faßt das Dasein erfassen kann, um sich zum Objekt ins Verhältnis zu setzen, vielmehr erscheint Transzendenz als wesenhafte Verfassung des Daseins. Seiendes als Dasein heißt in und als Transzendenz Seiendes sein. Das Transzendenzproblem läßt sich nie so erörtern, daß eine Entscheidung gesucht wird, ob die Transzendenz dem Subjekt zukommen könne oder nicht, vielmehr ist das Verständnis von Transzendenz schon die Entscheidung darüber, ob wir überhaupt so etwas wie `Subjektivität' im Begriff haben oder nur gleichsam ein Rumpfsubjekt in den Ansatz bringen."5 Dies deswegen, da allein das Dasein im Stande ist, sich Sein-vestehend"6 zu Seiendem ins Verhältnis zu setzen, d.h. allein der Mensch reflektiert auf die ontologische Differenz von Sein und Seiendem. Kommt diese ausgezeichnete Möglichkeit aber allein dem Menschen zu, so muß sie zwangsläufig in seiner Seinsverfassung gründen. Den Grund dieser Möglichkeit aber, d.h. der Grund für das Unterscheidenkönnen, in dem die ontologische Differenz faktisch wird"7, nennt Heidegger die Transzendenz des Daseins, die so verstanden als Grundverfassung erscheinen muß und nicht mehr nur länger als eine unter anderen mögliche, zuweilen in Vollzug gesetzte Verhaltungsweise"8 gelten kann. Transzendenz wird somit zur Möglichkeit des menschlichen Daseins, eigens auf die ontologische Differenz zu reflektieren, wobei Möglichkeit nicht als eine nach Belieben zu ergreifende bzw. verwerfbare Wahlmöglichkeit innerhalb des Entscheidungsspielraums des Daseins verstanden werden darf, sondern als innerstes Konstituens des Menschen erscheint, welches ihm wesenhaft ermöglicht, das Sein je als den vorgängigen Offenbarungsgrund für Seiendes in den Blick zu nehmen.

Damit ist aber gleichzeitig ein Hinweis darauf gegeben, was im Vollzug der Transzendenz überstiegen wird. Ist mit der Transzendenz der Möglichkeit einer Reflexion auf den Unterschied von Sein und Seiendem der Grund gelegt, so wird damit Seiendes in seiner Gesamtheit überstiegen, also sowohl Seiendes, wie es dem Dasein entgegentritt (Objekt), als auch das reflektierende Dasein selbst (Subjekt). D.h. im Überstieg kommt das Dasein allererst auf solches Seiendes zu, das es ist, auf es als es `selbst'."9 Somit wird auf einem zweiten Weg deutlich, inwiefern Transzendenz als wesenhaftes Konstituens des Daseins verstanden werden darf, da im Vollzug des berstiegs sich das transzendierende Selbst erst in seiner Eigenheit erfahren kann. Anders ausgedrückt übersteigt das Dasein in der Transzendenz als seiner wesenhaften Verfassung das Seinende selbst, und zwar jegliches Seiende, [...], mithin auch und gerade das Seiende, als welches `es selbst' existiert"10, und gelangt in diesem Prozeß dazu, innerhalb des Gesamt des Seienden zu unterscheiden, wer und wie ein `Selbst' ist und was nicht."11 Ist diese Differenzierung möglich in der Transzendenz über das Seiende als Ganzes, so ist damit jedoch nur das Was des Überstiegs genannt, es ist also bis hierhin noch nicht zu erkennen, woraufhin" sich dieser Hinausgang vollzieht. Ging das Was des Überstiegs aus einem sukzessiven Argumentationsgang hervor, so wird das Woraufhin der Transzendens von Heidegger zunächst gesetzt. Wir nennen das, woraufhin das Dasein als solches transzendiert, die Welt und bestimmen jetzt die Transzendenz als In-der-Welt-sein."12 Inwiefern diese Setzung legitimiert ist, wird im Verlauf deutlich, wenn der Begriff der Welt näher beleuchtet wird. Was zunächst festgestellt werden kann, ist, daß die Bestimmung der Transzendenz als In-der-Welt-sein letzteres als ein wesenhaft dem Dasein zukommendes Existenzial13 erscheinen läßt, da Transzendenz allein dem Menschen reserviert ist. Damit aber läßt sich umgekehrt für das In-der-Welt-sein schließen, daß es nicht in einem trivialen Sinn als ein Dasein unter anderem Seienden verstanden werden kann, da ein solches, rein topographisch verstandenes Verorten ja für sämtliches Seiendes möglich ist, mithin dieses Verständnis die Exklusivität des Begriffs für den Menschen unterminieren würde. Jedoch kommt allein dem Dasein Transzendenz zu, nur dem Menschen kann als seine Grundverfassung das In-der-Welt-sein attestiert werden, womit ein Hinweis darauf gegeben ist, daß der Begriff Welt an dieser Stelle offensichtlich etwas anderes meint, als das Gesamt dessen, was als Seiendes markiert werden kann. Transzendenz als wesenhafte Grundverfassung vollzieht den berstieg über das Seiende als Ganzes auf die Welt hin, womit einerseits die Welt nicht dieses Seiende als ganzes bedeuten kann, denn sonst würde der berstieg gerade auf das hin abzielen, was er zu transzendieren sucht, womit andererseits das In-der-Welt-sein als wesenhafte Verfassung des Daseins erscheint. Letzteres aber heißt anders gewendet, und hier spricht der Existentialist, den viele in Heidegger suchen: das Dasein ist nicht deshalb ein In-der-Welt-sein, weil und nur weil es faktisch existiert, sondern umgekehrt, es kann nur als existierendes sein, d.h. als Dasein, weil seine Wesensverfassung in In-der-Welt-sein liegt."14

Es gilt also im Anschluß an diese negative Bestimmung dessen, was Welt nicht meint, das positive Verständnis zu entwickeln, und dies zu leisten schickt Heidegger seinen eigenen Ausführungen eine Interpretation des Kantischen Weltbegriff voraus, der seiner Struktur nach als Brückenschlag hierfür geeignet ist. Danach finde sich zwar auch im Kantischen Weltbegriff der Gedanke eines Gesamts der vorhandenen endlichen Dinge, jedoch vollziehe sich hier ein Perspektivenwechsel, unter dem die Totlität der Dige in den Blick trete. Dies dergestalt als sie nicht mehr wie in der vorkantischen Tradition in ihrer kreatürlichen Abhängikkeit von einem Schöpfergott gesehen würden, vielmehr nun als potentielle Gegenstände der endlichen Erkenntnis von Interesse seien. Für die möglichen Gegenstände des endlichen Verstandes werde die Einheit des Zusammenhangs der Erscheinungen durch das System der synthetischen Erkenntnisse a priori gewährleistet, und zwar in der Weise, daß ihre Einheit, obzwar frei von jeder Empirie a priori notwendig, dennoch nie vollständig und unbedingt sein könne, da sie auf das kontingente Zuteilwerden der Erscheinungen im endlichen Verstand angewiesen sei. Die vollständige Einheit laufe für das Vorstellen somit auf den Inbegriff hinaus, der sich jedoch als ein transzendenter jeglicher Abildung bzw. Anschauung entzieht. Dieser Inbegriff bzw. die Idee der Einheit und Ganzheit des Manigfaltigen sei aber kein willkürlicher Entwurf, sondern als Vernunftbegriff der Vernunft a priori in der Reflexion gegeben. Damit ist für Heidegger der Kantische Weltbegriff zum einen nicht eine ontische Verknüpfung der Dinge an sich, sondern ein transzendentaler (ontologischer) Inbegriff der Dinge als Erscheinungen"15, zum anderen finde sich hier nicht eine `Koordination' der Substanzen, sondern gerade eine Subordination, und zwar die zum Unbedingten `aufsteigende Reihe' der Bedingungen der Synthesis"16, und schließlich sei dieser Weltbegriff nicht eine in ihrer Begrifflichkeit unbestimmte `rationale' Vorstellung, sondern als Idee, d.i. als reiner synthetischer Vernunftbegriff bestimmt und von Verstandesbegriffen unterschieden."17 Der Weltbegriff als die Idee einer unbedingten Totalität trete somit in ein eigentümliches Spannungsverhältnis, insofern die Idee gegenüber den Phänomenen zwar transzendent sei, sie aber trotz dieses Überstieges als Totalität eben jener Phä