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Brief_8: Gödel-Ausgabe: (Goedel_GG_008.doc)
Günther to Gödel

Gotthard Günther
3407 Montrose Ave.
Richmond 22, Va.
Sept. 18, 1955


Sehr geehrter Herr Prof. Gödel:

Nun sitze ich schon mitten in den Vorbereitungen für meine Reise nach Hamburg, aber ich möchte nicht von hier fortgehen ohne Ihnen für Ihren freundlichen Brief vom 10. VIII. zu danken - und Einiges darauf zu erwidern.

Zuerst: es hat mich wirklich bestürzt von Ihrem schlechten Gesundheitszustand zu hören. Ich betrachte es als ein wirklich großes Unglück für die Wissenschaft, wenn Ihre kostbare Arbeitskraft auf diese Weise beeinträchtigt wird. Ich hoffe ernstlich, dass Ihr Brief an mich ein positives Zeichen war, dass es Ihnen definitiv besser geht.

Nun zu dem sachlichen Inhalt Ihres Schreibens. Es hat mich etwas entmutigt auch von Ihnen (wie von so vielen anderen) zu hören, dass Sie nicht einsehen können, warum ich behaupte, dass beim Übergang von einem aristotelischen (2-wertigen) zu einem nicht-aristotelischen (3-wertigen) Logiksystem die Werte "wahr" und "falsch" aufgegeben werden müssen, und dass dafür ein anderer Werttypus - der eine andere ontologische Fragestellung involviert - eingeführt werden muss. Dass ich diese anderen Werte "irreflexiv" (contingent), "einfach reflexiv" (iterativ) und "doppelt-reflexiv" (Einheit von "irrefl." und "refl." im Bewusstsein) nenne, ist auf dieser Stufe der Betrachtung relativ irrelevant. Meine Terminologie hat historische Gründe in der Geschichte der Logik. Aber wenn jemand kommen sollte und mir eine bessere Werttriade demonstriert, so bin ich bereit, die meinige aufzugeben. æ

Was aber relevant ist, ist, dass man das Dualitätsprinzip der logischen Wertigkeit aufgeben muss. Reichenbach hat ausdrücklich festgestellt, dass dasselbe auch in der Wahrscheinlichkeitslogik, die mit beliebig vielen "Mischwerten" arbeitet, nicht aufgegeben wird. Die "Mischung" enthält immer die dualen Komponenten "wahr" und "falsch" - und ist stets dichotomisch aufteilbar.

Nach mehrfachem Lesen Ihres Briefes ist mir der Gedanke gekommen, dass meine Interpretation einer echten Werttriade (wahr-unbestimmt-falsch ist keine echte Triade!) als eines Wertsystems, in dem die Reflexionshöhe eines Begriffs (und nicht seine wahr-falsch-Übereinstimmung mit faktischen Daten) bestimmt wird, Ihnen deshalb Schwierigkeiten macht, weil Sie meine Interpretation der hermeneutischen Struktur eines dreiwertigen Logiksystems ignorieren.
***
Jedenfalls gehen Sie in Ihrem Briefe darauf nicht ein und doch war das der Kernpunkt meiner Analysen. Außerdem glaube ich, dass diese meine Interpretation eines dreiwertigen Systems original und neu ist. Erlauben Sie mir deshalb hier diese Interpretation zu wiederholen, denn an ihr hängt meine ganze logische Wert-theorie:

Eine dreiwertige Logik ist die Systematik dreier Umtauschrelationen von je zwei Werten. In anderen Worten: Sie ist die Kombination von drei zweiwertigen Logiken. Ich demonstriere das an zwei Beispielen:
1) an der dreiwertigen Konjunktion mit höchstem Reflexionsgehalt:

&vollreflexiv
a
b
g
1
1
1
1
1
1
2
2
2
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